Fortsetzungsroman

Beitrag 86

Sila förderte ein Fotoalbum zu Tage. Sie schlug es auf. Seite 1 zeigte ein Foto der Clique. Yan als Punk mit Iro, Uli und Marie als 'böse' Grufties und Sila mit grünen Haaren. 'Bochum ich komm aus 4' stand darunter. „Boah, Kaya, du alter Wortspielefuchs“, sagte Sila lächelnd.
Das zweite Foto zeigte das Quartett am Wattenscheider Bahnhof, dazu die Notiz: 'von Bochum 6 zu den Schwestern der Gnade'. „Oh Gott ja, das Sisters of Mercy Konzert in Essen“, murmelte Sila. Sie blätterte um. Die schwarze Truppe vor der Grugahalle – 'Sisters of Mercy 1993'. Das nächste Bild zeigte alle unter der Uhr am Essener Hauptbahnhof. Schlag Mitternacht. 'Null Uhr – Geisterstunde für Grufties'.
Sila schlug sich vor den Kopf: „4630. Sudoku mit Fotos. Alter Verwalter, Kaya.“

Beitrag 87

Sollte das die Lösung sein? Bochums alte Postleitzahl. Und wieder Grönemeyer. Ihre Vergangenheit hatte sich wie die Filmfolie in einem alten Diaprojektor über die Gegenwart geschoben. Ihre Jugendfreunde, ihre alte Heimat. So langsam war die Nostalgie nicht mehr auszuhalten.
Ray setzte sich neben Sie und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Weißt du, es zwingt dich niemand dieses Rätsel zu lösen. Wir können auch einfach nach Hause fahren und das Ganze vergessen.” Es fühlte sich an wie ein letzter Versuch der Gegenwart, ihre Aufmerksamkeit für sich zu gewinnen. Klar wusste Sila das, aber einfach so aufgeben war noch nie ihre Art gewesen. Was also sollte sie jetzt mit dieser Zahl anfangen?

Beitrag 88

„Nein, so einfach gebe ich nicht auf.“ Sila stand vom kalten Boden auf und wischte sich den Staub vom Hosenboden. „Aber hier kann ich nicht nachdenken. Da ist ein Eiscafé in der Huestraße.“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und ging in Richtung Ausgang. Ray, Umut und Yan trotteten etwas hilflos hinterher.
Nachdem der bestellte Latte Macchiato vor ihr stand und sie den ersten Schluck genossen hatte ohne sich die Lippen zu verbrennen, lehnte sie sich mit einem Seufzer zurück. Ray lief bereits der erste Tropfen Schokoladeneis das Kinn hinunter.
„51°7. 4630. 700. Was sollen diese ganzen Zahlen?“
Ray blickte von seinem Eisbecher auf. „In America da gibt es ein Spiel. Geocaching. Hast du schon davon gehört?“

Beitrag 89

Ray hatte schon das Handy zur Hand. „Längengrad 46, Breitengrad 30 – liegt irgendwo im Irak. Fehlalarm. Damit sind wir auf dem Holzweg.“
Alle schüttelten den Kopf.
Silas Blick ging ins Leere und fing sich dann an einem Plakat: eine frühe Ankündigung für den „Krippenblues“ im Schauspielhaus. Beim zweiten Blick erkannte sie erst den Kabarettisten. War der schmal geworden!
Yan winkte nochmal Dolores, die Kellnerin, heran und bestellte wie früher: „Einmal HaPoStraoSa, bitte.“ – „Du meinst 76 o7 ohne 77!“ Beide lachten. Sila blickte auf: „Wir stochern immer in der Vergangenheit – vielleicht übersehen wir die Gegenwart. Wir müssen die Verbindung finden. Aktuell befindet sich auf MARK 51⁰7 ein Paketzentrum. Aus der Postleitzahl 4630 sind viele 5-Stellige geworden. In der FuZo ist ein Dino-Park. Was hat sich in was verwandelt? Los! „Brainstormen“. Haut mal was raus!“

Beitrag 90

„Paketzentrum?“, murmelte Yan. „Paketzentrum! Lass mal gucken, ob Kaya dir ein Paket hinterlassen hat. Vielleicht können wir die 4630, die 700 und die 517 kombinieren – Paketnummern haben zehn Stellen.“ Umut nickte zuversichtlich: „Kaya hatte einen Kollegen beim Paketzentrum, das könnte eine heiße Spur sein. Wir sollten uns nach Peter erkundigen“.
Sila kratzte sich am Hinterkopf. „Das ist einen Versuch wert. Wir fahren zum Paketzentrum bei Mark 51°7 – und danach rufen wir Pfarrer Gregor an und schildern ihm, was uns alles passiert ist. Vielleicht kann er die Puzzleteile zusammenfügen.“ Ray wollte sich noch einschalten, aber Sila hatte ihm schon den Rücken zugewandt und mit Umut das Café verlassen. Yan legte ein paar Euro auf den Tisch und eilte flugs hinterher. Ray schaute etwas verloren, folgte dem Trio aber schließlich.

Beitrag 91

Auf dem Weg zum Paketzentrum sagte Yan: „Ich war schon länger nicht in der Nähe des alten Opelgeländes.“ Damit legte er den Finger in alte Wunden. Umuts Miene und Ton wurden ernst. Er hatte in mittlerem Alter als Quereinsteiger bei Opel angefangen, und mit der Schließung des Werks fielen seine Träume ins Wasser.
„Von einem Strukturwandel, egal wie positiv das klingen mag, profitieren nur die Reichen“,  brummte er. „Wer den Anschluss an einen neuen Job nicht schafft, wird eiskalt vor die Tür gesetzt“. 
Yan drehte sich zu Umut und begann, die Notwendigkeit eines solchen tiefen Eingriffs in die Arbeitswelt zu erläutern, als er merkte, dass Sila ihn genauso ansah wie früher. Sie hörte ihn halt gern reden.
Ray ging verbal dazwischen. „Also, wenn ihr euch mal Detroit anschaut und was daraus geworden ist, dann…“
Sila unterbrach ihn. „Leute wir müssen von der Wittener Straße gleich nach rechts abbiegen, da muss das Paketzentrum sein.“

Beitrag 92

Mit dem alten Kadett blieb das Quartett gleich vor dem O-Werk stehen, das ehemalige Gebäude des Opelwerks, das nun als Campus für neue Kräfte in Bochum dient. „Nostalgischer geht es kaum“, sagte Yan.
Umut äffte Yan auf der Hinterbank nach und knurrte anschließend etwas vor sich hin: „Wollen wir hier jetzt Wurzeln schlagen?“ Yan schnaufte hörbar, drückte anschließend aufs Gaspedal und fuhr die letzten Meter zu dem großen gelben Gebäude, das sich hinter dem O-Werk erstreckte.
Am Paketzentrum angekommen, übernahm Umut die Initiative. „Warten.“ Yan zog die Achseln fragend nach oben. „Ihr. Hier warten. Schwer von Begriff?“, legte Umut nach.
Ein lachendes Gackern von Ray nahm die Spannung aus der Situation. „Okay Umut, dann leg los, hol mir diesen Peter“, sagte Sila.
Keine fünf Minuten später war Umut wieder zurück. Sila machte große Augen, als sie die Person sah, die Umut folgte.

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Sila konnte ihren Schock verbergen und wollte ihren Verdacht nicht gleich aussprechen: War das der Mann, der sie überfallen hatte? Seine Silhouette schien genau darauf hinzudeuten, aber ganz sicher war sich Sila erst, als die Person sich vorstelle.
„Moin, ich bin der Peter. Ihr seid auf der Suche nach einem Päckchen von Kaya? Wenn ihr die richtige Nummer habt, dann habe ich vielleicht auch ein Paket für euch. Das darf ich aber nur einer Sila Zielenski geben“, erklärte Peter – und plötzlich war sich Sila ziemlich sicher, dass es der Mann war, der sie überfallen hatte.
Erst wollte Sila den vermeintlichen Dieb gleich festmachen, dann entschied sie sich, etwas behutsamer vorzugehen. „Hallo Peter, ich bin Sila“, preschte sie vor und zog ihren Ausweis zum Beweis hervor: „Die Nummer habe ich auch: 4630 – 517 – 700.“
Peter schien zufrieden. „Dann schaue ich mal, was ich habe“, raunte er und verschwand im Paketzentrum.

Beitrag 94

Sila schaute Peter hinterher und trat vor Ungeduld von einem Fuß auf den anderen.
Sie blickte ihre Freunde an und erschrak, als die Tür mit einem lauten Quietschen aufgedrückt wurde. Vor ihr stand Peter mit einem schuhkartongroßen Paket. Er grinste und drückte ihr mit einem „Bitteschön“ das Paket in die Hände. Ohne ein weiteres Wort verschwand Peter wieder hinter der Tür.
Mit zitternden Fingern riss Sila das Paket auf und kippte den Inhalt auf einen Tisch. Dutzende von Papierschnipseln rieselten heraus – ein in Stücke zerschnittener Stadtplan von Bochum. Auf einigen Schnipseln waren Kreuze zu erkennen. Von jedem Kreuz führte eine Linie weg, die sich scheinbar beim größten Kreuz trafen.          

Beitrag 95

Einen Moment lang starrte Sila die ausgekippten Schnipsel an. Das konnte doch nicht wahr sein… Schon wieder stand sie vor einer neuen Aufgabe. Was hatte Kaya sich nur dabei gedacht?
Plötzlich kam Sila ein Gedanke: Vielleicht war es gar nicht ihr Vater gewesen, der den Stadtplan zerschnitten hatte. Vielleicht wollte dieser Peter nicht, dass Sila das Rätsel ihres Vaters löste. Wieso sonst sollte er sie am Tippelsberg überfallen haben?
Sila überlegte, ob sie Peter direkt darauf ansprechen sollte. Es wäre vermutlich besser, erst einmal Yan hinzuzuziehen. Aber das war hier nicht möglich…
Ein Klatschen weckte Sila aus ihren Gedanken wieder auf. „Okay, let‘s go! Wer hat Lust auf Puzzeln?“, fragte Ray breit grinsend in die Runde. Sein Lächeln steckte sie an und weckte neue Hoffnung in Sila – Aufgeben war keine Option!

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