Fortsetzungsroman

Beitrag 56

Hier, dat hilft gegen Sentimentalitäten.“ Aisha stellte die Schnapsflasche auf den Tisch und verteilte Pinnchen. Yan schenkte den fünf ungleichen Tischgenossen ein. „Was Krupp in Essen, sind wir im Trinken“, deklamierte er Silas alten Lieblingstrinkspruch. Marie schnaubte entnervt. „Na dann. Die nehm´ ich mit“, sie griff nach der Flasche, „und den lass´ ich hier“. Ein Kopfnicken in Richtung Uli und sie verließ das Haus. Sila musste unfreiwillig auflachen. „Ruhrgebietspragmatismus“, dachte sie. Und dann „Oh Mann: Ray, Yan, jetzt auch noch Uli, das wird hier alles sehr kompliziert.“ Und selbst, wenn sie es mit dem Schreiben nicht so hatte, als Protagonistin in dieser verrückten Geschichte schien sie eine wirklich unterhaltsame Figur abzugeben.

Beitrag 57

Sila kippte ihr Pinnchen beherzt auf Ex und stand mit einem Ruck vom Tisch auf. „Leute, ich muss jetzt weg“, warf sie beim Hinausgehen in den Raum. Die schwüle Nachtluft nahm Sila beinahe den Atem, während sie sich bei all den aufbrodelnden Gefühlen nach Ruhe sehnte. Unter dem Scheibenwischer klemmte eine Karte mit der Aufschrift: „Harry BOgart. Der bärige Detektiv. Ermittlungen aller Art“. Mechanisch steckte sie die Karte ein und stieg in den Kadett.
Als sie den verwilderten Garten am Haus ihres Vaters in Sichtweite des Tippelsbergs betrat, atmete sie tief durch. Sila ließ sich in einen alten Korbsessel auf der Terrasse fallen, während das wild wuchernde Grün um sie herum eine wohltuende Kühle spendete. Sie schloss die Augen. „Wieso soll ich meine Geschichte schreiben?“, dachte sie. Langsam glitt sie in einen Schlaf voller unruhiger Träume.

Beitrag 58

Silas Großtante tanzte mit Umut barfuß im Sonnenuntergang. Dazu ertönte Billy Joels Stimme aus einem alten Kassettenspieler. In diesem Moment sang er davon, dass sein Schatz sich von Hollywood verabschieden sollte. Doch die Batterien des Spielers verloren an Kraft, und die Stimme des Sängers wurde immer schleppender und verwandelte sich zu einem wortlosen Gurren.
Sila öffnete schlaftrunken die Augen, das Geräusch klang so realistisch. Erschrocken zuckte sie zusammen und war sofort hellwach.
Das Gurren kam tatsächlich von außerhalb ihres Traumes, denn neben ihr auf der Lehne saß eine Taube! Sie betrachtete das Wesen, das sich aufgeplustert hatte und sehr entspannt wirkte. Der eine Flügel war nicht ganz angelegt und sie konnte die goldenen Schwungfedern sehen.
War es möglich, dass es sich um das selbe Tier handelte?

Beitrag 59

„Bochum, ich komm aus dir“, sang ihr Handy. Yan. „Können wir reden?"
Sila drehte sich um zur Taube: „Himmelbett für Tauben …“, kam ihr in den Sinn. „Ich muss mir die Hinweise langsam aufschreiben, vielleicht blicke ich dann durch.“ An Yan schrieb sie: „Klar! Kommst du hoch zum Tippelsberg?“ Prompt kam die Antwort: „Gib mir 20 Minuten, bin noch auf´m Ruhrschleichweg unterwegs.“ Sila schmunzelte. Ja, die A 40 machte ihrem Namen Ruhrschnellweg höchstens nachts um drei Ehre.
Seufzend erhob Sila sich und lief zu ihrem geliebten Tippelsberg. Kindheitserinnerungen kamen auf, als sie an den überdimensionalen Fußspuren des Riesen Tippulus vorbeikam. Silas Vater hatte ihr gerne davon erzählt: „Es war einmal ein Riese namens Tippulus. Auf einer seiner langen Reisen machte er Rast in Bochum, um seine Schuhe von Lehmklumpen zu befreien. Und aus einem solchen Klumpen entstand der Tippelsberg …“

Beitrag 60

Natürlich kam Sila vor Yan am Tippelsberg an. Sie setzte sich auf die Wiese und suchte in ihrer Tasche nach einem Kaugummi. Yan kauend gegenüber zu sitzen war immer noch besser als mit Mundgeruch. Mit der Kaugummipackung zog sie ein verknittertes Stück Pappe aus der Tasche: „Harry BOgart…“, die Visitenkarte, die unter dem Scheibenwischer geklemmt hatte.
Sila tippte den Namen in ihr Handy. Der Mann auf dem Bild sah zwar nicht wie Bogart aus, sondern eher wie eine Art Columbo mit Vollbart, aber für solche Details hatte sie jetzt keine Zeit. Die ganze Geschichte, in die sie hier hineingeraten war, war so verworren. Da konnte es nicht schaden, wenn jemand von außen…
Sila wählte die Nummer von der Visitenkarte. Es tutete. „Harry BOgart (er sprach das „O“ eindeutig groß aus). Ermittlungen aller Art“, meldete sich eine rauchige Stimme.

Beitrag 61

Sila fasste sich ein Herz und fragte: „Können Sie mir bei der Suche nach meiner Geschichte helfen? Es gibt so viele Lücken, ich war so lange weg! Ich muss herausfinden, warum mein Vater uns verlassen hat. Er hat mir ein uraltes Haus und einen dicken Wälzer vermacht. Dabei ist er mir so nah und doch so fremd. Wie soll ich meine Geschichte weiterschreiben, wenn die Vergangenheit ein Rätsel ist?“ Die Antwort kam mit einem Lächeln in der Stimme: „Bei mir sind Sie an der richtigen Adresse. Wenn Ihr türkischer Vorfahr zusammen mit Baron von Ostermann am Zarenhof gedient hätte, würde ich das herausbekommen. Da sind die letzten Jahre ein Klacks gegen! Wir treffen uns morgen früh um halb 10 bei Tana auf der Bank!“
Sila schaute Yan, der mittlerweile aufgetaucht war, irritiert an: „Bei Tana auf der Bank?“ Yan grinste breit: „Gegenüber vom Schauspielhaus! Da sitzt sie und wartet auf dich!“

Beitrag 62

„…auf mich?“, wiederholte Sila verdutzt. „Wer denn?“ – „Na unsre Pott-Perle - Tana Schanzara!“, löste Yan auf. „Ach, stimmt! Das hast du übern großen Teich wohl kaum mitbekommen. Die haben ihr zu Ehren den Westfalenplatz vor Jahren zum Tana-Schanzara-Platz umbenannt und ihr on top noch en Denkmal gegönnt“, holte Yan aus. „Kennze sicher noch als kümmerliches Wiesenstück an der großen Kreuzung gegenüber dem Schauspielhaus; auf dem zu Weihnachten immer ein großer Tannebaum stand.“ – „An der Ecke, wo wir uns zu Silvester immer getroffen haben, bevor wir in die Stadt gezogen sind?“, erinnerte sich Sila. – „Ja genau. Dat wurd alles platt gemacht und schön zum Hinsitzen ausgebaut. Da sitzt gez jedenfalls die Bronze-Tana, ihrer ehemaligen liebsten Wirkungsstätte zuprostend und freut sich auf Gesellschaft. Nun auf die deine wie mir scheint!“, endete Yan verschmitzt und fragte: „Worum ging’s denn überhaupt?“

Beitrag 63

„Ach, ich hatte da diese Visitenkarte von Columbo an der Scheibe und dachte, ich versuch mal mein Glück!“, sagte Sila und zuckte mit den Schultern. „Diese ganze Geschichte ist so verwirrend und wir brauchen glaube ich jemanden, der nicht irgendwie involviert ist.“
Yan sah sie nachdenklich an: „Columbo?“
„Ja, der Typ auf der Visitenkarte sah so aus. Ein Detektiv eben“, sagte Sila und schmunzelte.
„Wann triffst du ihn?“, fragte Yan.
„Morgen um halb zehn. Kommst du mit?“
„Na klar! Aber jetzt brauche ich erstmal was zu essen. Hungermäßig befinde ich mich deutlich im roten Bereich!“
Sila lachte: „Na, bevor es Tote gibt, wollen wir dich mal füttern. Komm, wir holen uns eine Pizza und fahren dann zu mir.“

Beitrag 64

Ein heftiger Schlag auf ihren Hinterkopf ließ Sila zu Boden stürzen. Ein beinahe undurchdringlicher Schleier aus Schmerz und Benommenheit machte sie bewegungsunfähig. Durch ihren benebelten Verstand hörte sie Yan, der zuerst wild fluchte und schließlich verstummte. Plötzlich zerrte jemand an ihrer Handtasche. Geistesgegenwärtig umklammerte Sila das Leder.
„Jetzt mach!“ Eine tiefe Männerstimme dröhnte durch den Nebelschleier.
„Ich komm nicht ran!“, entgegnete ein anderer.
„Wenn wir ohne die Seiten wiederkommen, können wir uns direkt begraben!“ Sila durchfuhr unerwartet ein stechender Schmerz, der sie zwang, die Umklammerung zu lösen. Ritsch, machte der Reißverschluss ihrer Tasche.
„Ich hab sie. Los weg!“

Beitrag 65

Nachdem Sila begriff, was sich gerade zugetragen hatte, konnte sie nur noch am Fuße des Tippelsbergs zwei dunkel gekleidete Gestalten erkennen, die schnellen Schrittes in Richtung Bergen flüchteten.
Yan stammelte: „Wat wa dat denn?“ Verunsichert, noch unter Schock stehend, schauten sich beide an. Yan ergriff ihre Hand. Sila war leicht verwundert ob der Reaktion von Yan. Sonst eher grob, schien er in dieser Situation sehr feinfühlig zu sein, aber sie wischte diese Gedanken im Nu fort und dachte wieder an die verschwundenen Seiten.
Sie kramte in ihrer Handtasche; den alten Briefumschlag ihres Vaters mit dem aufgeklebten Bild des Kadetts hatten die Kerle zum Glück nicht gefunden. In diesem Kuvert befanden sich 51,70 Mark. Was hatte es mit diesem Betrag auf sich? Ob auch dieses Geheimnis von Harry BOgart aufgelöst werden kann?

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